Eine Mischbatterie voller Gefühle

Was emotionale Regulation wirklich bedeutet und weshalb sich diese nicht nur für den Stoiker in allen Lebenslagen lohnt.

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Noch mal mit ohne Gefühl

Aus dem OX & RE Artikel zum Thema Gleichmütigkeit wisst Ihr bereits: Der Stoiker trägt seine Emotionen nicht gerade auf der Zunge. Im Gegenteil, zur Entwicklung eines guten Stoikers gehören eine Regulation der Emotionen dazu. Gefühle werden nicht einfach so nach außen getragen, stattdessen lernen Stoiker einen neuen, inneren Umgang mit emotional spannenden Situationen.

All dies verleiht dem Stoiker den Ruf des gefühlskalten Menschen. Doch nichts ist ferner von der Wahrheit entfernt. Auch der Stoiker hat Emotionen und teilt diese nach außen mit. Oft wird der Begriff «emotionale Regulation» falsch verstanden, da sie unauthentisch wirkt. Wer möchte schon mit jemandem zu tun haben, der emotional nicht authentisch ist und vermeintlich «etwas vorspielt»? Hier geben Euch OX & RE ein paar Einblicke ins Thema, um zu zeigen, dass auch für Nicht-Stoiker Strategien zur Emotionsregulation sinnvoll sein können.

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Alles fließt (hoffentlich)

Die allerwichtigste Erkenntnis zuerst: Die Regulation bzw. Kontrolle von Emotionen heißt nicht, alle Emotionen vollständig abzustellen. Dies ist klar, logisch und von jedem von Euch allmorgendlich in der heimischen Dusche zu erleben:

Die Regulation oder Kontrolle der Wassertemperatur an der Mischbatterie heißt nicht, die Mischbatterie vollständig abzustellen. Das Wasser soll ja fließen. Ihr möchtet schließlich duschen. Aber eben bei einer für Euch angenehmen Temperatur. Mit der emotionalen Regulation kümmert sich der Stoiker also um diese innere Mischbatterie. Ziel ist hierbei, jede einzelne Emotion zu erkennen und sich nicht (zu sehr) von ihr kontrollieren zu lassen.

Im Vergleich mit der Situation unter der Dusche heißt dies: Ihr kümmert Euch aktiv darum, dass Ihr Euch nicht am zu heißen (emotionalen) Wasser verbrüht. Wie wichtig und sinnvoll dies ist, erleben alle Menschen im Laufe Ihres Lebens häufig genug. Doch dazu später mehr.

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Der Mythos der authentischen Emotionen

Der Stoiker spielt zur Emotionsregulation also in vielen Situationen an seiner inneren Mischbatterie herum und die Menschen in seinem Umfeld bekommen es nicht direkt mit. Wie soll man nach einer Äußerung oder Regung von außen erkennen, ob der Stoiker vorher ordentlich am Regulieren war oder die entsprechenden Gefühle hinter der Äußerung von Anfang an da waren?

Das große Problem ist die Authentizität. Die emotionale Regulation wirkt unecht, wie eine Manipulation des Stoikers an sich selbst und letztlich auch an anderen. Hier gibt’s allerdings ein Problem, für das Ihr etwas tiefer in die Psychologie der Emotionen eintauchen solltet. Die meisten von Euch würden folgender Aussage sicherlich zustimmen: «Ich wünsche mir, dass die Menschen, mit denen ich zu tun habe, emotional authentisch sind.»

Wir alle haben ein Gefühl, was damit gemeint ist, und der Satz fühlt sich richtig an. In der Sache ist er allerdings falsch. Hierzu zwei einfache Beispiele, die Ihr vielleicht (leider) aus Eurem eigenen Leben kennt:

  1. Ihr habt einen absoluten Choleriker in der Familie, dessen Zündschnur wegen jeder Kleinigkeit reißt.
  2. Ihr habt einen pathologisch von Angst zerfressenen Menschen in Eurem Freundeskreis, der sich kaum aus dem Haus traut und hinter allem eine Gefahr sieht.

Beide Personen sind emotional absolut authentisch. Zugegeben: In einer Art und Weise, die eine psychologische Behandlung nahelegt oder zumindest nicht zur Belastung der Menschen im direkten Umfeld werden sollte. Aber eines kann man vor lauter Angst und Wutanfälle nicht behaupten: Dass die beiden Personen nicht ehrlich und direkt mit ihren Emotionen wären. Hier würde man sich als Außenstehender sogar eine Kontrolle oder Veränderung wünschen.

Der Wunsch, dass jemand «emotional authentisch», heißt korrekt formuliert: «Ich wünsche mir, dass die Menschen in meinem Umfeld emotional stabil, verlässlich und mit sich und der Welt im Reinen sind». Dies setzt eine gewisse Resilienz voraus, ein paar Einblicke in die Psychologie und viel Ehrlichkeit zu sich selbst. Vor allem aber eines: Die Bereitschaft zur Emotionsregulation.

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Mord (und nicht ganz so schlimmes) im Affekt

Man muss keinen Choleriker oder Angstpatienten in der Familie haben, um sich mit Emotionsregulation zu befassen. Ein Blick aufs eigene Leben über Jahre und Jahrzehnte hinweg reicht aus. Ihr alle – ausnahmslos – kennt Situationen, in denen Ihr im Nachhinein klüger wart als vorher. In denen Ihr aus dem Affekt heraus Entscheidungen getroffen oder Bewertungen abgegeben habt, die sich sofort «in einer ruhigen Minute» als falsch herausstellten.

Affekthandlungen sind in der Psychologie genauso Thema wie vor den Gerichten in Deutschland und der Welt. Es muss aber nicht zu Mord und Totschlag im Affekt kommen. Bereits im kleinen Rahmen haben unkontrollierte Emotionen weitreichende Folgen, aus denen Ihr (hoffentlich) lernen konntet. Ein falsches Wort, und Freundschaften enden. Eine falsche Bewegung, und Dinge gehen zu Bruch. Ein emotionales Hinreißen lassen, und neun Monate später liegt ein Baby im Kreißsaal.

Hier liegt der Ansatz, weshalb nicht nur Stoiker über ein Regulieren von Emotionen nachdenken sollten. Falsche Entscheidungen im Leben zu treffen, ist die eine Sache. Diese aus einer Emotion, aus dem Affekt heraus zu treffen und sich schon wenige Sekunden über die Konsequenzen zu ärgern, die im Extremfall lebenslang sein können, eine andere.

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Emotionale Regulation – an der Mischbatterie drehen

Wie unter der richtigen Dusche braucht es auch bei der emotionalen Mischbatterie etwas, bis Ihr «die richtige Temperatur» gefunden habt. Und manchmal verbrennt Ihr Euch trotzdem an Euren Emotionen, da eine Entwicklung oder Situation Eures Lebens Euch völlig überrascht. Ziel ist für den Stoiker dennoch immer, nicht erst aus Fehlern lernen zu müssen, sondern sich selbst schon im Vorfeld helfen zu können.

Doch wie lässt sich emotionale Regulation lernen? Emotionen und Gefühle kommen schließlich plötzlich auf, völlig ungeplant, und scheinen uns in ihrer Angst, Wut oder Trauer einfach mitzunehmen. Lustigerweise aus OX & RE Sicht setzt gerade hier der andere große Teil dieser Webseite, die Meditation, an.

Emotionsregulation heißt, bei zu heißen Emotionen einen Schritt zurückzutreten und es zu schaffen, einen Abstand zwischen sich und die Gefühle zu bekommen. Zu verstehen, dass «man selbst» nicht identisch ist mit der Emotion, die gerade aufkommt. Sich nicht von der inneren Stimme und ihren Bewertungen hinreißen zu lassen.

All dies ist schwierig und in mancher Situation einfacher umzusetzen als in anderen. Der wichtigste Punkt ist jedoch: Emotionale Regulation lässt sich lernen. Und Emotionsregulation ist etwas Sinnvolles, um nicht wieder und wieder Opfer der eigenen Gefühle zu werden. Das Regulieren hat nichts mit fehlender Authentizität zu tun. Im Gegenteil. Wenn Ihr es schafft, eine innere Resilienz aufzubauen und Euch nicht mehr zu schnell durch Gefühle (und ihre Auslöser) mitreißen zu lassen, wird gerade dieser neue und gereifte Charakter zu Eurer authentischen Persönlichkeit.

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Veränderung & Resilienz – immer im emotionalen Wandel

Am Ende noch zwei wichtige Feststellungen rund um Euren Weg der Emotionsregulation. Zum einen: Ihr seid immer in der Entwicklung. Jeden Tag verändert Ihr Euch schleichend, über Jahre und Jahrzehnte hinweg erkennt Ihr es bewusster. Gedanken, Gefühle und Sichtweisen verändern sich, aber oft so schleichend, dass wir es nicht in einer bestimmten Situation merken. Diese Entwicklung heißt: Ihr werdet so oder so schleichend ein wenig unauthentisch zu dem Bild, das Ihr selbst von Euch habt. Hierzu könnt Ihr stehen und diese Entwicklung aktiv in die Hand nehmen. Beispielsweise, indem Ihr genauer auf Eure Gefühle schaut und einen bewussten Weg der Regulation einschlagt.

Zum anderen: Der Aufbau von Resilienz für gesunde Emotionen ist wichtig. Hierzu werden OX & RE noch einen eigenen Artikel liefern. Aber Resilienz ist nicht alles, wenn Ihr über eine Emotionsregulation nachdenkt. Resilienz hilft Euch beim Lernen, besser mit stressigen Situationen umzugehen und auf vieles nicht mehr mit unnötig «heißen Emotionen» reagieren zu müssen. Dies heißt nicht, dass Euch eine bestimmte Situation oder Emotion nicht doch vollkommen überraschen wird.

Vielleicht hat Eurer Vermieter an der Vorlauftemperatur im Heizraum gedreht und das Wasser kommt völlig unerwartet deutlich heißer aus der Leitung. Hier sind Strategien nötig, die im Umgang mit dieser überraschend heißen Emotion helfen. Und diese Emotion kann immer und jederzeit kommen. Euer Wille zur emotionalen Regulation und die stetige, bewusste Auseinandersetzung hiermit gehört zu den besten Strategien, um Eure Hand an der Mischbatterie zu halten. Vielleicht ist es dank Eurer aufgebauten Resilienz unnötig. Doch falls es nötig ist, wird Euch dieser Ansatz der Stoiker mit Sicherheit helfen.

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